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Emma Ulrich

Pfrauen und Ferde

VON EMMA CH. ULRICH

Aber auch der Gedanke ist etwas, das lebt und die Sprache, die ihn überträgt, sollte ebenso lebendig sein wie er. Der Gedanke ist lebendig, weil er eine Art Keim gebildet hatte, als die, die ihn dachte, geboren wurde. Die beiden sind zusammen auf dieser Welt erschienen wie ulkige Phänomene. Die, die denkt, kann manchmal gar nicht folgen, dem, was sie da denkt. Sie fühlt ihr lebendiges Gehirn nicht, und zwar aus der einfach zu nennenden Tatsache heraus, dass es sich so schrecklich normal anfühlt für sie zu denken.
Einige Wissenschaftlerinnen, die sich mit der Sprache, dem Denken und dem Sein beschäftigen, finden das abgefahren. Sie sitzen in der Teeküche ihres Forschungsinstituts und reden ihrerseits. Ihre Sprache schlägt schäumende Wellen, so lebendig sind ihre Gedanken und die Sprache, in die sie diese Gedanken kleiden. Es kommen Pferde aus den Wellen, den Frauen kommen Pferde aus den Mündern und eine der Frauen führt die Pferde am Zaumzeug in den Stall hinter der Teeküche. Der Stall ist riesig, es ist ein Marstall, den die Königin dort hat hinbauen lassen, damit ihre wehrhafte Monarchie nicht nur kluge Wissenschaftlerinnen, sondern auch wehrhafte Soldatinnen auf Pferden beherbergen kann. Die Soldatinnen schlafen unter dem Pferdestall in den Katakomben auf den Knochen ihrer Väter und sie ernähren sich von Bratwurst und Tee, Bier und Kompott.
Die Wissenschaftlerinnen lieben die Soldatinnen, weil sie sie im Zweifel beschützen. Sie machen das so gut, dass der Ernstfall noch nie eingetreten ist. Die Soldatinnen lieben wiederum die Wissenschaftlerinnen nicht, denn die kommen immer, wenn die Soldatinnen Karten spielen und sich ein bisschen selbst vergessen wollen; sie stellen dann Aufnahmegeräte auf, zücken Notizhefte und nehmen Notiz. Sie sehen dann so nervig auf die Münder der Soldatinnen und die Soldatinnen sehen immer wieder wütend in die Ecke, in der ich stehe. Ich soll herauskommen und die Wissenschaftlerinnen bitten zu gehen, aber das würde meinen Status ad absurdum führen, dafür bin ich zwar hier, ich soll im Ernstfall schlichten, aber der Ernstfall soll nie eintreten, denn dann wäre ich überflüssig und würde bestraft.

 

© Copyright
Katharina Grosch

Fotos von

Timotheé Deliah Spiegelbach

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